In den letzten Jahren ist es beliebt geworden, bekannte Begriffe um eine Versionsnummer wie „4.0“ zu erweitern. Dazu gehört auch der Begriff „Instandhaltung 4.0“. Da dieser neu geschaffene Begriff nicht ausreichend definiert ist, erfahren wir in unseren Gesprächen mit technischen Führungskräften immer wieder verschiedene Deutungen und Erwartungshaltungen, die daran geknüpft sind. Daher soll hier der Begriff Instandhaltung 4.0 präzisiert und gegen eine Instandhaltung oder Instandhaltung x.0 abgegrenzt werden.
Woher kommt der Zusatz 4.0?
Der Begriffszusatz 4.0 leitet sich aus dem Begriff „Industrie 4.0“ ab. Aber auch dieser Begriff erfuhr in den letzten Jahren einen Wandel seit dieser erstmals öffentlichkeitswirksam auf der Hannover Messe in 2011 eingeführt wurde.
So finden sich u.a. die folgenden Definitionen bzw. Erklärungen für den Begriff „Industrie 4.0“:
- „Industrie 4.0“ ist ein Marketingbegriff, der auch in der Wissenschaftskommunikation verwendet wird, und steht für ein „Zukunftsprojekt“ der deutschen Bundesregierung. [1]
- Ad hoc-Vernetzung von intelligenten Maschinen, Produkten/Werkstücken sowie Lager- und Transportsystemen via Internet zu leistungsfähigen Wertschöpfungsnetzwerken. [2]
Was ist Instandhaltung 4.0?
In der aktuellen Diskussion fehlt eine klare, allumfassende Definition für den Begriff „Instandhaltung 4.0“. Am ehesten kann Instandhaltung 4.0 als eine Verschmelzung von traditionellen Instandhaltungspraktiken mit digitalen Technologien verstanden werden. Hierdurch können z.B. Daten in Echtzeit erfasst, analysiert und interpretiert werden, um eine prädiktive Instandhaltungsstrategien abzuleiten. Ziel von Instandhaltung 4.0 ist es, durch die intensivere Nutzung bzw. Einführung von (neuen) Technologien, verbesserten Verfahren, Instrumenten und Methoden weitere Verbesserungsmöglichkeiten in der Instandhaltung aufzuzeigen und umzusetzen.
Dies führt dann z.B. zu einem effizienteren, also kostengünstigeren, Betrieb der Maschinen und Anlagen, zu verringerten, ungeplanten Ausfallzeiten und der Steigerung der Gesamtleistung und Zuverlässigkeit von Produktionsprozessen.
Woran ist eine Instandhaltung 4.0 erkennbar?
Es gibt kein Produkt instandhaltung 4.0, welches Sie im nächsten Baumarkt kaufen und im eigenen Betrieb installieren können. Stattdessen existieren eine Vielzahl von Ansätzen, die sich auf Reifegradmodelle stützen, um das Konzept der Instandhaltung 4.0 zu vermitteln. Diese Modelle dienen dazu, den Fortschritt und die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens im Kontext der vierten industriellen Revolution hinsichtlich seiner Instandhaltungspraktiken zu beschreiben.
Der Fokus liegt dabei darauf, die tiefgreifenden Auswirkungen der vierten industriellen Revolution auf den Bereich der Instandhaltung darzustellen. Diese Revolution, die von Technologien wie dem Internet der Dinge (IoT), künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung angetrieben wird, hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Instandhaltung durchgeführt wird, radikal zu verändern.
Indem Unternehmen den Reifegrad ihrer Instandhaltung anhand dieser Modelle bewerten, können sie ihren aktuellen Stand in Bezug auf die Integration von Industrie 4.0-Technologien in die Instandhaltungsprozesse ermitteln. Dies ermöglicht es ihnen, gezielte Schritte zur Optimierung und Transformation ihrer Instandhaltungsstrategien zu unternehmen und somit den Anforderungen der modernen, digitalisierten Fertigungsumgebung gerecht zu werden.
Was ändert sich in der Instandhaltung?
Durch die verstärkte Digitalisierung der Instandhaltung ergeben sich nicht ausschießlich IT-nahe Veränderungen. Vielmehr ist es wichtig, alle Aspekte der Instandhaltung entsprechend der Veränderungen anzupassen. Aus unserer Sicht sind dies die folgenden 7 Aspekte: Strategie, Kunde, Struktur, Prozesse, EDV/IT-Unterstützung, Organisation und Führung.
Durch Umsetzung von Industrie 4.0 (im Sinne der obigen 2. Definition) im Unternehmen sind für den Instandhaltungsbereich, bezogen auf die 7 Kernelemente, folgende Änderungen zu erwarten:
Strategie
- Verstärkte Weiterentwicklung einer zustandsorientierten Instandhaltungsstrategie hin zu einer prädiktiven Instandhaltung (Hier mehr Infos zu den verschiedenen Instandhaltungsstrategien)
- Verstärkter Einkauf von Anlagenleistungen
- Durchgängigkeit strategischer Betrachtungen (von der Unternehmensstrategie bis zur Ersatzteilstrategie). Dies wird z.B. unterstützt durch den Einsatz eines Asset Management Management Systems.
Kunde
Die Kundenanforderungen an die Instandhaltung werden sich grundsätzlich nicht verändern. In der Regel bedeutet dies für die Instandhaltung, dass die geforderten technischen Anlagenverfügbarketien zu minimalen Kosten bereitgestellt werden. Jedoch werden die Erwartungen an das Leistungsniveau weiter zu nehmen. Dies bedeutet für die Instandhaltung die Umsetzung von:
- Höhere technische Anlagenverfügbarkeit
- Höhere Verlässlichkeit in der Abschätzung der Dauer und des Zeitpunkts von Anlagenstillständen
- Verringertes Anlagenausfallrisiko
- Erhöhte Flexibilität
- Erhöhte Wertschöpfung aus dem Anlagenpark
- Geringe Instandhaltungskosten
Struktur
Einführung weiterer Technologien zur Unterstützung des Auf- und Ausbaus dynamischer, echtzeitop-timierter, selbstorganisierender und unternehmensüber-greifender Wertschöpfungsnetzwerke. Dies können z.B. sein:
- Einführung von Cyber Physischen Systemen (CPS)
- Nutzung additiver Fertigungstechnologie (ggf. über Dienstleister)
Prozesse
Nutzung der IT zur Beschleunigung und Vereinfachung der Instandhaltungsprozesse z.B. durch:
- durchgängige EDV-Unterstützung und damit erhöhte Prozesseffizienz
- engere Zusammenarbeit mit Dienstleistern oder OEM mittels Service App, Fernwartung,…
- verstärkte Nutzung von Datenanalyse-Prozessen
EDV / IT-Unterstützung
- Verstärkte Nutzung von Mobile IT
- Einführung und Nutzung von Assistenzsystemen wie Datenbrillen und Augmented/Mixed Reality-Lösungen
- Intensivere Auswertung von Prozess- und Sensordaten Einsatz mittels Big Data und Data Analytics-Lösungen
- Abbildung der Anlagen als digitale Zwillinge
Organisation
- Flexibilisierung des Mitarbeiter-Einsatzes und damit verbunden eine Steigerung des Qualifikationsgrads
- Stärkung der gewerke- und abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit
- Aufbau von EDV- und Analysekompetenzen
Führung
- Unterstützung bei der Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen
- Förderung einer Veränderungs- und Fehlerkultur
Fazit
Instandhaltung 4.0 beschreibt eine Instandhaltung, die geprägt ist von einem höheren Digitalisierungsgrad der Instandhaltungsprozesse. Damit einhergehend sind, wie oben aufgezeigt, ebenso die anderen Kernelemente entsprechend anzupassen (z.B. Dezentralisierung der Entscheidungsfindung). Die Nutzung von Reifegradmodellen bietet Unternehmen eine Methode, um diese Evolution zu bewerten und zielgerichtet in Richtung einer optimierten, zukunftsorientierten Instandhaltung zu steuern.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
[1] Prof. Dr. Bendel, Oliver: Industrie 4.0 in Gabler Wirtschaftslexikon (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/industrie-40-54032/version-368841 Revision von Industrie 4.0 vom 07.01.2019 – 17:27)
[2] Prof. Dr. Kagermann, Prof. Dr. Meinel: Hands on Industrie 4.0, MOOC-Training 2016